Rheinregulierung

 

Oberst Tulla, der Bändiger des wilden Rheines, welcher mit seinen vielen Armen und Windungen durch die versumpfte Rheinebene floß und alljährlich Dörfer und Felder mit den Fluten seiner Überschwemmung bedrohte, begann 1804 mit Vorarbeiten für den Geradelegungsplan. Als 1821 die Probedurchschnitte bei Plit-tersdorf und Kehl erfolgten, leistete die Bevölkerung mancherorts offenen Wider­stand. (Man könnte fast zu heutigen Baumaßnahmen Parallelen ziehen.) Man stand auch schon in jenen Jahren nicht immer positiv den Neuerungen gegen­über; trotz des wiederholten Verderbens des Rheines bei denen einzelne Teile der Gemarkung weggeschwemmt wurden, so namentlich in Söllingen in den Jahren 1784, 1789 und 1816. Der zur Abwendung der Hochwassergefahr gemachte Rhein­einschnitt bei Söllingen im Jahre 1778 erwies sich als unzureichend.

 


 

Auf der Gemarkung Söllingen wurde in den Jahren 1846 — 1868 die entscheidenste Korrekturarbeit am Rhein ausgeführt. Hierdurch schuf man einen regelmäßigen Stromlauf, der durch feste parallele Ufer eingefaßt war. Die Schüttung der Hoch­wasserdämme erfolgte in den Jahren 1868 — 1873, dabei konnte auch die Straße zum Rhein (Fahrstraße) hergestellt werden.

 

Die Kosten für vorgenannte Arbeiten, einschließlich der Brücke über das Schwarz­wasser (Anker- und Mühlbachbrücke), beliefen sich auf 5587 Gulden; die Hälfte der Baukosten sowie das nötige Gelände stellte die Gemeinde unentgeltlich. Die Ausführung geschah 1869. Nachdem die Gemeinde 1871 eine fliegende Fähre mit 12 Nachen aufstellte, wurde im Jahre 1872 die Seitenstraße (Rheinstraße) von der Landstraße (B 36), durch den Ort bis zu der 1869 hergestellten Straße jenseits der Schwarzwasserbrücke korrigiert und etwas ausgebaut. Die Fähreinrichtung verur­sachte Kosten von 3725 Gulden. 1873 errichtete man bei Söllingen eine Nachen-station für Dampfschiffe.

Durch die Rheinkorrektur wurde das Landschaftsbild grundlegend verändert. Anstelle der vielen Stromarme zieht heute ein majestätischer Strom seinen Weg, der sich harmonisch in die Landschaft einfügt.


 

Der Hauptzweck der Rheinkorrektur war erreicht: Schutz der Uferbewohner gegen Hochwassergefahren, Absinken des Grundwasserstandes, Verbesserung der Bodenkultur, Landgewinnung durch Verlandung und gesünderes Klima durch geringere Luftfeuchtigkeit.

 

Im Revolutionsjahr 1848 besetzten Aufständige die Festung in Rastatt. Die Fran­zosen nützten diese Wirren und Schwächen in unserem Lande aus und sprengten den Rhein bei Fort Louis abermals, versenkten ein Schiff und leiteten den Rhein über Söllinger Altwasserarme um. Seit dieser Zeit macht der Rhein bei Söllingen den großen Bogen. Die Folge war der Verlust von 144 ha Gelände Baragegrund und jährlich große Überschwemmungen. Auf Protest von Söllinger Seite schrien die Elsässer über den Rhein: Hecker u. Struwe sollen euch helfen.

 

Nach einem Vertrag vom 30. Sept. 1860 zwischen Baden und Frankreich wurde das Fahrrecht auf dem Rhein ausschließlich der deutschen Flußseite zuerkannt. 1862 verkaufte die Gemeinde Söllingen das Gewann „Baragegrund", welches nach der Rheinkorrektur auf elsässischer Seite lag, an Herrn Batistian von Fort Louis für 34 100 fl. Den Vertrag unterzeichnete von Söllinger Seite Bürgermeister Franz Baumann.

 

In dieser Zeit herrschten viele wirtschaftliche Notjahre. Ein großer Teil der Bevöl­kerung konnte von den Erträgen der Landwirtschaft nicht mehr leben. Zwar haben viele Ortsbewohner beim Rheinbau mitgearbeitet und damit für den Le­bensunterhalt gesorgt, aber trotzdem brachen in den Jahren 1846 und 1847 schlimme Hungersnöte aus. Suppen wurden ausgegeben und mittwochs war Brottag; Brotlisten aus jener Zeit sind noch vorhanden. Am 30. 1. 1847 erging eine Bittschrift an die Behörde um Saatgut für das Frühjahr. Auch im Sommer arbeiteten die Dorfbewohner im Gemeindewald, um wenigstens einen kleinen Verdienst zu erhalten. Dazu kam noch ein Unglück beim Rheinbau, von dem 4 Familien betroffen wurden. Josef Seher, Heinrich Schneider, Josef Birnesser und Friedrich Hermann ertranken im Rhein. Im August 1851 folgte ein großes Hochwasser, bei welchem 32 Söllinger Bürger Hab und Gut verloren; der Scha­den betrug 3400 fl. Söllingen erhielt als Ausgleich 104 fl. zur Beschaffung von Lebensmitteln.

 

Im Krieg von 1866 welcher um die Herrschaft Preußens gegen Österreich geführt wurde und bei dem Österreich nach der verlorenen Schlacht bei Königgrätz die mehr als 1000jährige Gemeinschaft der deutschen Stämme verlassen mußte, gab es keine Kriegshandlungen in unserer Heimat.

 

Eine alte Fahne des Kriegervereins erinnert an den Krieg 1870 — 1871 gegen Frank­reich. Auf der Fahne sind die Schlachtorte aufgestickt. Deutschland wurde nach Kriegsende zum Kaiserreich erhoben; Elsaß-Lothringen kam nach 200 Jahren wieder auf die deutsche Seite. Der Abschaffung der Gulden (fl) folgte die Einfüh­rung der deutschen Mark. Einige Einwohner fanden im elsäßischen Straßburg, wo ein wirtschaftlicher Aufschwung stattfand, Arbeit und Heimat.

 

1870 — 1871 und in der Zeit nach dem Krieg kam es zu weiteren wirtschaftlichen Notjahren. 1876 und 1882 folgten starke Hochwasser und eine große Anzahl Söllinger Bürger wanderte nach Amerika aus, weil die Heimat ihnen kein Brot mehr geben konnte. Die Zeit der Gries-, Mehl- und Rübensuppe war angebro­chen. Kartoffeln und Salz galten schon als ganz besondere Mahlzeit. Die Kinder liefen bis nach Rastatt und Hagenau, um Kommisbrot zu erbetteln. Einige kön­nen sich bestimmt noch daran erinnern, daß dies ältere Leute oft erzählten. Es wurden viele Schulden gemacht und den Juden von Lichtenau gehörte danach der halbe Bann. Die Kornäcker brachten ohne Dünger nur spärliche Erträge. Durch den Verlust des Baragegrundes 1862 und die Aufforstungen im Gemeindewald hatte man keine Futterplätze für das Vieh. Im Beschlußbuch des Karl Friedrich-Armenfondes kann man sehen, daß in jenen Jahren oft über 100 Familien im Ort unterstützt wurden. Es mußten Saatgut und Kleider bereitgestellt werden. Erst ab Mitte der neunziger Jahre kam es zu einem wirtschaftlichen Aufschwung, bis zum Ausbruch des 1. Weltkrieges. Neue mineralische Düngemittel brachten wahre Wunder. Jetzt gab es prachtvolle grüne und rotblühende Kleefelder. Dazwi­schen leuchteten in dichtgedrängten postkutschengelben Blütenständen der Raps, dessen Ernteerzeugnisse einst als milder Schein in der Öllampe brannte. Man baute das stämmige Welschkorn mit seinen wehenden Blatt- und Blütenfahnen an und ließ die gelben Körner am zylindrischen Kolben unterm Wetterdach des Fach-werkgiebels ausreifen und sich härten. Der Tabakbau brachte willkommene Ein­nahmen. Die Spargel wurden bei uns schon seit 1885 (Michael Schmitt) angebaut. Mit dem Tabak kam auch die Kartoffel aus Amerika in die alte Welt. Sie wurde ein segenbringender Schatz im Ackerboden. Eine andere Knollenpflanze nimmt mit den bescheidenen Sandböden unserer Hard vorlieb, sie leuchtet im Spätherbst mit ihren gelben Ordensblumen; die Topinambur oder Erdäpfel. Sie ergibt ein nahrhaftes Viehfutter und zu Schnaps gebrannt, den Menschen ein heilsamer Ma­gentrost. So wechselt das Bild in unserer Gemarkung mit den Ährenfeldern mit seinem tausendfältigen Fruchtkorn, dem Inbegriff der Seßhaftigkeit und Heimat­liebe, von Fleiß und Sorgfalt, von Arbeit und Friede. Sind das nicht besinnliche Heimatklänge, farbenprächtige Melodien? Hat unsere Heimat, (jedermanns Heimat) nicht gar viele Akzente. Leider warden diese klingenden Akzente in der Hast des Alltags und im akustischen und optischen Lärm der neuzeitlichen, sprunghaft sich entwickelnden Technik meist überhört oder nicht mehr erkannt, ja verkannt.

Viele natürliche Substanz ging uns verloren. Ihr Fehlen ist zu auffallend, ja besorgniserregend.

 

Quelle: G. Schmitt, 1986, Heimatbuch Söllingen S.61 ff